FRAUEN AM BAUHAUS

 

GUNTA STÖLZL

SHARON-/STADLER

(1897-1983)

 

textildesignerin

 

geboren in münchen

12 jahre am bauhaus

danach aktiv

in der schweiz

IN DER TEXTILWERKSTATT DES BAUHAUSES 1919 – 1931​

Wir kamen ja alle von Akademien oder Kunstgewerbeschulen, die Männer meist noch im Soldatenrock (dem wir Mädchen rasch einen zivilen Anstrich gaben, etwa durch Färben und Kragenabschneiden). An Werkstätten waren vorhanden: die Töpferei in Dornburg, die Graphische Druckerei und die Buchbinderei, die Tischlerei, die Metallwerkstatt und eine Wandmalerei, so benannt, weil das Dringendste für uns war, Wände abzuwaschen und neu zu streichen.

 

Von Gropius berufen, waren an «Formmeistern» 1919 zugegen: Lyonel Feininger für die Graphische Druckerei, Gerhard Marcks für die Töpferei und Johannes Itten. Itten übte die große Anziehungskraft aus, denn er hatte nicht nur eine Ideologie und ein Programm, sondern er setzte dieses Programm auch in Taten um. Ein- oder zweimal in der Woche kamen wir in einem völlig leeren Raum zusammen, am Boden hockend, das Skizzenbuch auf den Knien, und zeichneten mit Kohle oder Bleistift: Rhythmen-Material-Pflanzliches-alles nach einem bestimmten Thema.

 

Die Frage: Zu welchem Material, für welche Werkstatt sollte man sich entscheiden?, das war neben vielen anderen Diskussionsthemen ein gewichtiges Anliegen für die meisten. Kamen wir doch alle von Kunstgewerbeschulen oder Akademien her, wo von Handwerk keine Rede war.

 

Ich wollte zur Glasmalerei. Da eine solche Werkstatt nicht existierte, mußte ich in die Stadt zu einem Glasmaler in die Lehre. Sehr rasch merkte ich, daß ich dort nur abgestandenes Handwerk lernen konnte. So entschloß ich mich für die Wandmalerei. Zu tun gab es da genug, Wände abwaschen und streichen, Fenster und Türen, auch Möbel mit Schleiflack behandeln, das ganze Bauhaus war ja reichlich verwahrlost. Mitten in dieser Schwerarbeit hatte jemand eine gute Idee.

 

«Eine Dada-Bude auf dem traditionellen Weihnachtsmarkt von Weimar», das war die Losung. Alles fing nun an, «handwerklich» zu schaffen.

 

Dekorationen, Spielzeug, Stofftiere, Puppen, Papierspiele, Holzspiele; besonders attraktiv waren Tiere aus Wurzelholz, ein wenig mit dem Messer bearbeitet und sehr bunt bemalt. Die Töpferei von Dornburg brachte viel Tonzeug, auch Puppengeschirr. So zeigten wir uns der Öffentlichkeit von Weimar zum ersten mal auf heitere Weise, und der Erfolg war groß, besonders bei der Jugend, der wir zum Schluß noch unsere Baskenmützen schenkten, weil nichts mehr zum Verkaufen war.

 

Vielleicht war es dieser Erfolg, der mich und noch zwei Mädchen bewog, an eine Frauenklasse zu denken. Mit diesem Plan gingen wir zu Itten und Gropius, und unser Plan gelang.

 

Wir bekamen einen Raum im Werkstattgebäude, Empfehlungen von Gropius an verschiedene alte Damen in Weimar, wo wir Stoffreste, Garnreste, Spitzen und Schleier, Perlentäschchen, Leder und Pelze betteln durften. Für Material hatte das Bauhaus ja kaum Mittel, und wir hatten kaum das Existenzminimum. Aus diesen Schätzen entstanden nun Wandbehänge, Decken, Puppen, Tiere.

 

War die Arbeit das Wichtigste? Ich glaube heute noch, dass das Leben das Wichtigste war.

 

Es war übervoll an Eindrücken, Erlebnissen, Begegnungen, Freundschaften. Freundschaften, die Jahrzehnte überdauerten. Die schönen Abende bei Feiningers, wo musiziert wurde und wir auch noch mit dem Bauhaus sympathisierende Weimaraner oder Künstler, die dort wohnten, kennenlernten. Ich erinnere mich an ein Fest dort, mit Gulaschkanone. Nachdem die immer Hungrigen gespeist waren, wurde getanzt, der schönen Böden wegen barfuß. Wir fuhren auch zu Vorträgen oder Konzerten nach Jena, und da kein Zug mehr zurückging, wanderten wir zu Fuß heim auf den wogenförmig sich hebenden und senkenden, von Obstbäumen gesäumten Landstraßen. Auch nach Dornburg zogen öfter kleine Gruppen.

 

Dornburg hatte ja einen besonderen Reiz. Es war die Urzelle des Bauhauses, denn dort war als Werkstatt schon existent, was in Weimar erst Planung war.

 

Formmeister Marcks, verehrt von seinen Schülern, Werkmeister Krehan, ein idealer Töpfer, fünf bis sechs Lehrlinge, die in einem Haus - dem früheren Marstall - wohnten und gemeinsam lebten, eingetan in eine ganz einzigartige Landschaft über der Saale. Der erste Winter 1919/20 war für alle Studierenden sehr bewegt. Werkstätten gab es nicht, ausgenommen die Töpferei in Dornburg. An anregendem Unterricht war nur Itten da. Die ökonomische Basis für fast alle Bauhäusler war denkbar schmal; da war es schon großartig, wenn man als Statist am Theater für einen Abend eine Mark verdiente. Im übrigen nutzte man die Beziehungen, die man aus seiner Heimatstadt noch hatte, um Graphik oder kunstgewerbliche Arbeiten dort an den Mann zu bringen.

 

Die Kantine war zeitweise schlecht, aber dafür entstand schon bald eine Kapelle, und wenn die Suppe runter war, wurden Stühle und Tische beiseite gestellt, und wir tanzten!

 

Das Tanzen und kleine Feste spielten eine große Rolle. Ein Jahr später, als Kandinsky ans Bauhaus berufen wurde, machte er im Oberlichtsaal eine große Ausstellung seiner Bilder, und am Abend wurde in diesem Raum getanzt. Welch unvergessliches Fest, all die tanzenden Paare vor den großformatigen, farbig leuchtenden Bildern! Auch die Abende mit Gropius sind mir unvergeßlich; da wurde viel Heiteres erzählt, Soldatenerlebnisse wurden ausgetauscht, dazwischen auch mal leidenschaftlich diskutiert.

 

Gropius, obwohl mit Distanz, war immer der verständnisbereite Kamerad. Sein unerschöpflicher Vorrat an Erdnüssen, in großen Schalen aufgestellt, stärkte uns «Jünger».

 

Da wurden neben dem sich immer wandelnden Bauhausprogramm auch Feste besprochen und Ideen dafür gesammelt. Aus einem Brief, datiert Ende 1919: «Weihnachten war unsagbar schön, etwas ganz Neues, ein 'Fest der Liebe', im kleinsten seiner Teile noch. Ein schöner Baum, Lichter und Äpfel, eine weiße lange Tafel, große Kerzen, schön gedeckt, ein großer Tannenkranz, alles grün. Unterm Baum alles weiß, darauf ungezählte Geschenke. Gropius las die Weihnachtsgeschichte, Emmy Heim sang. Wir wurden beschenkt von Gropius, jeder Bauhäusler so lieb und schön und kostbar. Dann große Speisung. Über allem eine Feierlichkeit und eine Ahnung von dem Symbol. Gropius trug jedem Einzelnen die Speisen zu. Wie Fußwaschung.» Von den Festen wäre noch manches zu erzählen. Das Drachenfest, das Lampionfest. Da gab es wochenlange Vorbereitungen und gemeinsame Arbeit.

 

Die Feste waren seit Beginn und blieben all die Jahre hindurch das Barometer der Aktivität des Bauhauses.

 

Wie aber kam es zur Weberei? Die Frauenklasse bestand. Da entdeckte ich private Räume mit Webstühlen, privat, weil sie nicht zum Bauhaus gehörten.

 

Mädchen aus der Stadt lernten dort sticken – Vögel, Schmetterlinge auf selbstgewebtem Grund –geleitet von Helena Börner, einer Handarbeitslehrerin. Ich lieh mir in den Sommerferien 1920 einen Hochwebstuhl und webte meinen ersten kleinen Gobelin. Ermutigt und unterstützt von den Mädchen der Frauenklasse, gingen wir im Herbst 1920 zu Gropius und baten ihn, daß er uns die Möglichkeit gäbe, auf diesen Webstühlen zu arbeiten. Gropius war einverstanden, und wir erreichten es, dort uns einzunisten, zunächst angewiesen auf die Gunst von Fräulein Börner und absolut abhängig von ihrem guten Willen (und unserer Diplomatie), uns dieses oder jenes Material für unsere Arbeiten zu verschaffen. Mit der Zeit wurden dann alle Webstühle, auch die großen Teppichstühle, die noch von Van de Veldes Zeit da waren, dem Bauhaus einverleibt. Auch die Börner mußte mit übernommen werden, obwohl sie sehr wenig Ahnung vom Handwerk des Webens hatte; sie war eben Handarbeitslehrerin.

 

Wir waren etwa fünf Mädchen, die diesen Anfang machten. Alles Technische, die Funktionen des Webstuhls, die Möglichkeiten der Fadenverkreuzung, die Art der Fadeneinzüge, konnten wir uns nur durch Ausprobieren aneignen; da war viel Rätselraten bei uns armen Autodidakten, und manche Träne floß.

 

Nun war da auch noch als Erbe von Van de Velde eine Färberei. Diese interessierte mich und Benita Otte ganz besonders, denn hier winkte die Möglichkeit, das Material selbst zu färben. Im Frühjahr 1921 erwirkten wir beide mit Hilfe von Gropius und Georg Muche, der als Formmeister seit 1921 die Weberei leitete, einen kurzen Lehrkurs an der Färbereifachschule Krefeld und ein Jahr später einen ebensolchen zweimonatigen Lehrkurs an der Textilfachschule Krefeld, denn inzwischen war Muche und uns klar geworden, wie mannigfaltig das Gebiet des Webens ist und daß man ohne Grundkenntnisse in Bindungslehre und Materialkunde nicht auskommt. Die Schüler kamen ja nun aus dem Vorkurs von Itten; eine gewisse Klärung, wohin die Begabung und Neigung des Einzelnen tendierte, hatte sich dort gezeigt. Ein Fluktuieren war aber immerhin möglich; es gab Schüler, die nur einige Monate sich versuchten, um dann auf ein anderes Gebiet hinüberzuwechseln.

 

Man konnte in der Weberei unter der Leitung von Georg Muche ganz frei experimentieren. Ob man sich an einen Teppich wagte oder an ein Kissen, das lag im Belieben des Lehrlings.

 

Den ersten Anlaß, bei der Gestaltung eines Möbels mitzuwirken, gab mir 1921 der «Negerstuhl» von Breuer. Ich spannte die Kettfäden aus grobem Garn direkt auf Stuhlsitz und Lehne durch feine Löcher und stopfte gobelinartig die Formen hinein; der nächste Schritt war dann, wiederum für einen Breuerstuhl, eine farbig gegliederte Gurtenbespannung. Einen weiteren Versuch machte ich 1922 mit einem großen handgeknüpften Bodenteppich in Smyrnatechnik. Diese Technik mußte ich mir erarbeiten, denn Anleitung gab es nicht. In der Folge sind dann verschiedene große Bodenteppiche entstanden, darunter einer für Gropius' Büro.

 

Als Itten im Frühjahr 1923 das Bauhaus verließ, übernahm Muche den Vorkurs und Klee für kurze Zeit als Formmeister die Weberei. 

 

Vertiefte, begrifflich durchgeklärte Probleme der Form, der Verhältnisse, der Farbwerte verdanke ich ihm. Seit 1922 konnten wir in unserer Färberei die Färbungen selbst entwickeln. Wir färbten sowohl mit Naturfarbstoffen wie Cate-chu, Cochenille, Waid, Indigo als auch mit Küpenfarbstoffen und anderen. Die eigene Färberei war eine große Hilfe zu Experimenten mit der Farbe. Unsere ersten Webarbeiten waren «gemalte Stoffe», fein gegliedert, mit viel Schattierungen, einer üppigen Farbskala. Zeit spielte ja keine Rolle; der Versuch, das «Neue» zu leben und zu formen, war das einzig Dringliche. Bis 1923 hat die Weberei vorwiegend Einzelstücke hergestellt, Kompositionen am Flachwebstuhl mit eingelegten Formen, gewirkte Wandbehänge am Hochwebstuhl, verschiedene Doppelgewebe. Formal wie technisch wurde unentwegt «erfunden».

 

Mit diesen Arbeiten wagten wir uns auf die Leipziger Messe. Der Erfolg war dort beträchtlich und führte uns in die Richtung des Gebrauchsstoffes, der Meterware (Vorhang- und Möbelstoff).

 

Zu Beginn des Jahres 1923 wurde in allen Werkstätten höchst intensiv für die «Bauhauswoche 1923», unsere erste Ausstellung im Sommer jenes Jahres, gearbeitet. Das Arbeitsfieber war unglaublich, wurde dann aber reich belohnt durch die Festlichkeiten und den Erfolg dieser Tage; auch alle vorhergehenden Stürme und Kämpfe wurden im Rausch der Freude völlig vergessen.

 

Vom Januar bis Herbst 1924 hat mich Johannes Itten nach Herrliberg (Schweiz) gerufen, um dort eine kleine Weberei aufzubauen und zu leiten. Diese erste selbständige Aufgabe habe ich mit Begeisterung aufgenommen. Im Herbst 1924 begannen schon die großen Auseinandersetzungen mit der Regierung von Thüringen. Das Bauhaus wankte, das Stimmungsbarometer fiel und stieg. Welche Stadt wird uns aufnehmen? Als dann die Würfel gefallen waren, wurde noch intensiver diskutiert. Programme wurden aufgestellt und verworfen.

 

Ende 1924, nach aufregenden Wochen, war die Entscheidung gefallen: das Bauhaus kommt nach Dessau.

 

Kaum einer kannte diese Stadt. Wer von den Meistern kommt mit? Wer von den Schülern, den Gesellen? In den vorausgegangenen Wochen der völligen Ungewissheit hatten schon einige ältere Schüler und Gesellen Lehrstellen an Kunstgewerbeschulen angeboten bekommen. Die Töpferei blieb in Dornburg. Marcks wurde nach Halle berufen, und einige Schüler gingen mit ihm. Auch Benita Otte wurde nach einigen Monaten an die Kunstgewerbeschule Giebichenstein in Halle berufen zur Leitung der Weberei. Ich bekam einen Vertrag als «Lehrerin der Weberei» in Dessau. Muche blieb Formmeister bis zu seinem Ausscheiden Frühjahr 1927.

 

Von da an bis zu meinem Ausscheiden Herbst 1931 hatte ich als «Jungmeister» die Leitung der Textilwerkstatt.

 

Ich hatte das Programm für den Lehrgang der Lehrlinge bis zur Gesellenprüfung auszuarbeiten, ich mußte das Programm für die ganzen neu zu beschaffenden Einrichtungen der Werkstatt aufstellen, die geeigneten Webstuhlsysteme bestellen, die Einrichtung für die Färberei – von Weimar konnten wir nur sehr wenig mit nach Dessau nehmen und einen Werkmeister suchen. Der Aufbau der Weberei in Dessau war Lehrwerkstatt und Produktionswerkstatt in einem großen Raum, Färberei im Untergeschoß. Die Webstuhlsysteme mußten möglichst vielseitig sein, für den Lernenden sowohl wie für die Produktion geeignet; denn das Ziel war jetzt, mittels größerer Aufträge auch das Experimentieren zu befruchten (auch materiell, wir waren immer noch ein armes Bauhaus). Bis zum Einzug in das neu erbaute Werkstattgebäude, November 1926, war die Werkstatt in einem Fabriksaal untergebracht. Im neuen, großen hellen Raum mit den verschiedensten Webstuhlsystemen hatte ich etwa zehn bis zwölf Schüler, einen Werkmeister und Angestellte.

 

Das Ineinandergreifen von Lehrwerkstatt und Produktionswerkstatt war ungemein fruchtbar. Der Anfänger bekommt den richtigen Einblick in alle Vorgänge, er wird in jeder Richtung angeregt.

 

Der Fortgeschrittene kommt zu selbständigem Entwurf und Ausführung und beteiligt sich an den Aufträgen – es wurde gruppenweise experimentiert –, die Ausführung konnte der Studierende übernehmen (gegen Entlöhnung), und größere Metragen wurden von den Angestellten ausgeführt.

Durch die Verbindung mit den anderen Werkstätten des Bauhauses konnten größere Aufträge gemeinsam bearbeitet werden. So bekam der Schüler den Blick für das Ganze und damit die richtige Einstellung zu seiner Aufgabe. 

 

Zu diesen – die handwerkliche Einzelherstellung rechtfertigenden Aufträgen kamen nun auch jene hinzu, welche uns die Industrie stellte. Das waren vor allem Vorhangstoffe, Möbelstoffe, Wandbespannungen.

 

Für die Mode haben wir wenig gearbeitet. Unser Hauptinteresse ging dahin, neue Typen für den Innenraum zu erproben. Mit neuen Materialien zu experimentieren, die Funktionen der Stoffe klar zu untersuchen, durchsichtige, dichte, weich oder steif fallende Stoffe, eine präzise Farbskala und ähnliches, das waren die Themen. Es ging uns um die Herausklärung des streng Materialgerechten. Die Komposition des Einzelstückes – sei es Wandteppich oder Bodenteppich - trat gegenüber Weimar zurück, obwohl auch jetzt noch einige Fabulierstücke entstanden - frei ausschwingend, nicht begrenzt durch Funktion und Technik. Die Färberei hat ihre bedeutsame Funktion behalten, denn gerade für die Versuchsarbeit mußte viel und in kleinen Dosen gefärbt werden. Jeder Schüler konnte, zunächst unter Anleitung, seine eigenen Farbversuche selbst ausführen. Mit meinen Schülern besuchte ich größere Textilunternehmungen; auch wurden den Lernenden in den Ferien Volontärstellen in mechanischen Webereien vermittelt.

 

Die Arbeitsdisziplin in Dessau war bedeutend straffer als in Weimar.

 

Dort konnte ein Studierender nur hereinspazieren in die Weberei, einen Bodenteppich oder einen Wandbehang weben und wieder verschwinden, und das waren dann manchmal die besten Stücke. So kamen Peiffer-Watenphul, Bittkow, Kerkovius, Frau Schreyer (und noch andere) zu uns. In Dessau aber galt der dreijährige Lehrvertrag mit der Gesellenprüfung als Abschluss; einige Zeit später konnte dann noch das Bauhausdiplom erworben werden.Ob, wie in Weimar, ein gemeinsames Leben und Trachten, noch ohne fertige Normen und Formen - ob straffer organisierte Schule wie in Dessau - ob Befruchtung künstlerischen Schaffens durch das Handwerk oder »Kunst und Technik eine neue Einheit.«

 

Die Bauhausidee verfiel keiner Erstarrung, immer verblieb sie im Werden. Sie hat den ihr Verpflichteten Sinn und Ziel eines befreiten Gestaltens gegeben, auf welchem besonderen Gebiet es auch war. 

GUNTA STADLER-STÖLZL

 

1897

geboren in München

 

1914

Aufnahme in die Kunstgewerbeschule München

 

1916-1918

Rotkreuzschwester im 1.Weltkrieg

 

1919

wieder an der Kunstgewerbeschule München. Dort durch Richard Riemerschmid Begegnung mit dem 1. Bauhaus-Manifest »Kathedrale des Sozialismus«. Im Sommer Reise nach Weimar zu Gropius. Im September Eintritt in das Bauhaus Weimar.

 

1922/23

Lehrling/Geselle der Bauhaus-Weberei; mitbeteiligt am Aufbau der Werkstatt

1924

von Johannes Itten nach Herrliberg berufen, dort Einrichtung und Leitung der Handweberei. Sie kehrt im Herbst wieder zurück an das Bauhaus.

 

1925 April

Übersiedlung mit dem Bauhaus nach Dessau, als Lehrerin für die Weberei. Neuaufbau der Werkstatt. Ausbildung der Studierenden bis zur Gesellenprüfung und zum Bauhaus-Diplom

 

1927-1931

Bauhausmeister(in)

 

1929

Heirat mit Architekt Arieh Sharon, Tel-Aviv, Geburt der Tochter Yael

 

1931

Übersiedlung nach Zürich als Textilentwerferin mit eigener Werkstatt, bis 1937 in Zusammenarbeit mit H.O. Hürlimann

 

1942

Heirat mit dem Schriftsteller Dr. Willy Stadler

 

1943

Geburt der zweiten Tochter Monika

 

1967

Nach der Schließung des Ateliers arbeitet sie als freie Textilkünstlerin

 

1983

stirbt sie in Männedorf, Schweiz

Weimar, Herbst 1919. Was fand ich vor? Eine kleine Gruppe von Studierenden, mehr Männer als Mädchen. Ein großes Gebäude mit Ateliers, die zum Teil von der alten Akademie belegt waren, daneben große leere Räume, ein Werkstattgebäude, eine Kantine, ein Atelierhaus für Studierende, jedoch nur für Männer. Zimmersuche war nicht schwer. Wo aber konnte man arbeiten? Zu welchem Handwerk fühlte man sich hingezogen?​

Weimar, Herbst 1919. Was fand ich vor? Eine kleine Gruppe von Studierenden, mehr Männer als Mädchen. Ein großes Gebäude mit Ateliers, die zum Teil von der alten Akademie belegt waren, daneben große leere Räume, ein Werkstatt-gebäude, eine Kantine, ein Atelierhaus für Studierende, jedoch nur für Männer. Zimmersuche war nicht schwer. Wo aber konnte man arbeiten? Zu welchem Handwerk fühlte man sich hingezogen?​

In der Textilwerkstatt

des Bauhauses

1919 bis 1931​

FRAUEN AM BAUHAUS

 

GUNTA STÖLZL

SHARON-/STADLER

(1897-1983)

 

textildesignerin

 

geboren in münchen

12 jahre am bauhaus

danach aktiv in der schweiz

Von Gropius berufen, waren an »Formmeistern« 1919 zugegen: Lyonel Feininger für die Graphische Druckerei, Gerhard Marcks für die Töpferei und Johannes Itten. Itten übte die große Anziehungskraft aus, denn er hatte nicht nur eine Ideologie und ein Programm, sondern er setzte dieses Programm auch in Taten um. Ein- oder zweimal in der Woche kamen wir in einem völlig leeren Raum zusammen, am Boden hockend, das Skizzenbuch auf den Knien, und zeichneten mit Kohle oder Bleistift: Rhythmen - Material - Pflanzliches - alles nach einem bestimmten Thema.

 

Die Frage: Zu welchem Material, für welche Werkstatt sollte man sich entscheiden?, das war neben vielen anderen Diskussionsthemen ein gewichtiges Anliegen für die meisten. Kamen wir doch alle von Kunstgewerbeschulen oder Akademien her, wo von Handwerk keine Rede war.

 

Ich wollte zur Glasmalerei. Da eine solche Werkstatt nicht existierte, mußte ich in die Stadt zu einem Glasmaler in die Lehre. Sehr rasch merkte ich, daß ich dort nur abgestandenes Handwerk lernen konnte. So entschloß ich mich für die Wandmalerei. Zu tun gab es da genug, Wände abwaschen und streichen, Fenster und Türen, auch Möbel mit Schleiflack behandeln, das ganze Bauhaus war ja reichlich verwahrlost. Mitten in dieser Schwerarbeit hatte jemand eine gute Idee.

 

»Eine Dada-Bude auf dem traditionellen Weihnachtsmarkt von Weimar«, das war die Losung. Alles fing nun an, »handwerklich« zu schaffen.

 

Dekorationen, Spielzeug, Stofftiere, Puppen, Papierspiele, Holzspiele; besonders attraktiv waren Tiere aus Wurzelholz, ein wenig mit dem Messer bearbeitet und sehr bunt bemalt. Die Töpferei von Dornburg brachte viel Tonzeug, auch Puppengeschirr. So zeigten wir uns der Öffentlichkeit von Weimar zum ersten mal auf heitere Weise, und der Erfolg war groß, besonders bei der Jugend, der wir zum Schluß noch unsere Baskenmützen schenkten, weil nichts mehr zum Verkaufen war.

 

Vielleicht war es dieser Erfolg, der mich und noch zwei Mädchen bewog, an eine Frauenklasse zu denken. Mit diesem Plan gingen wir zu Itten und Gropius, und unser Plan gelang.

 

Wir bekamen einen Raum im Werkstattgebäude, Empfehlungen von Gropius an verschiedene alte Damen in Weimar, wo wir Stoffreste, Garnreste, Spitzen und Schleier, Perlentäschchen, Leder und Pelze betteln durften. Für Material hatte das Bauhaus ja kaum Mittel, und wir hatten kaum das Existenzminimum. Aus diesen Schätzen entstanden nun Wandbehänge, Decken, Puppen, Tiere.

 

War die Arbeit das Wichtigste? Ich glaube heute noch, dass das Leben das Wichtigste war.

 

Es war übervoll an Eindrücken, Erlebnissen, Begegnungen, Freundschaften. Freundschaften, die Jahrzehnte überdauerten. Die schönen Abende bei Feiningers, wo musiziert wurde und wir auch noch mit dem Bauhaus sympathisierende Weimaraner oder Künstler, die dort wohnten, kennenlernten. Ich erinnere mich an ein Fest dort, mit Gulaschkanone. Nachdem die immer Hungrigen gespeist waren, wurde getanzt, der schönen Böden wegen barfuß. Wir fuhren auch zu Vorträgen oder Konzerten nach Jena, und da kein Zug mehr zurückging, wanderten wir zu Fuß heim auf den wogenförmig sich hebenden und senkenden, von Obstbäumen gesäumten Landstraßen. Auch nach Dornburg zogen öfter kleine Gruppen.

 

Dornburg hatte ja einen besonderen Reiz. Es war die Urzelle des Bauhauses, denn dort war als Werkstatt schon existent, was in Weimar erst Planung war.

 

Formmeister Marcks, verehrt von seinen Schülern, Werkmeister Krehan, ein idealer Töpfer, fünf bis sechs Lehrlinge, die in einem Haus - dem früheren Marstall - wohnten und gemeinsam lebten, eingetan in eine ganz einzigartige Landschaft über der Saale. Der erste Winter 1919/20 war für alle Studierenden sehr bewegt. Werkstätten gab es nicht, ausgenommen die Töpferei in Dornburg. An anregendem Unterricht war nur Itten da. Die ökonomische Basis für fast alle Bauhäusler war denkbar schmal; da war es schon großartig, wenn man als Statist am Theater für einen Abend eine Mark verdiente. Im übrigen nutzte man die Beziehungen, die man aus seiner Heimatstadt noch hatte, um Graphik oder kunstgewerbliche Arbeiten dort an den Mann zu bringen.

 

Die Kantine war zeitweise schlecht, aber dafür entstand schon bald eine Kapelle, und wenn die Suppe runter war, wurden Stühle und Tische beiseite gestellt, und wir tanzten!

 

Das Tanzen und kleine Feste spielten eine große Rolle. Ein Jahr später, als Kandinsky ans Bauhaus berufen wurde, machte er im Oberlichtsaal eine große Ausstellung seiner Bilder, und am Abend wurde in diesem Raum getanzt. Welch unvergessliches Fest, all die tanzenden Paare vor den großformatigen, farbig leuchtenden Bildern! Auch die Abende mit Gropius sind mir unvergeßlich; da wurde viel Heiteres erzählt, Soldatenerlebnisse wurden ausgetauscht, dazwischen auch mal leidenschaftlich diskutiert.

 

Gropius, obwohl mit Distanz, war immer der verständnisbereite Kamerad. Sein unerschöpflicher Vorrat an Erdnüssen, in großen Schalen aufgestellt, stärkte uns «Jünger».

 

Da wurden neben dem sich immer wandelnden Bauhausprogramm auch Feste besprochen und Ideen dafür gesammelt. Aus einem Brief, datiert Ende 1919: «Weihnachten war unsagbar schön, etwas ganz Neues, ein 'Fest der Liebe', im kleinsten seiner Teile noch. Ein schöner Baum, Lichter und Äpfel, eine weiße lange Tafel, große Kerzen, schön gedeckt, ein großer Tannenkranz, alles grün. Unterm Baum alles weiß, darauf ungezählte Geschenke. Gropius las die Weihnachts-geschichte, Emmy Heim sang. Wir wurden beschenkt von Gropius, jeder Bauhäusler so lieb und schön und kostbar. Dann große Speisung. Über allem eine Feierlichkeit und eine Ahnung von dem Symbol. Gropius trug jedem Einzelnen die Speisen zu. Wie Fußwaschung.» Von den Festen wäre noch manches zu erzählen. Das Drachenfest, das Lampionfest. Da gab es wochenlange Vorbereitungen und gemeinsame Arbeit.

 

Die Feste waren seit Beginn und blieben all die Jahre hindurch das Barometer der Aktivität des Bauhauses.

 

Wie aber kam es zur Weberei? Die Frauenklasse bestand. Da entdeckte ich Räume mit Webstühlen, privat, weil sie nicht zum Bauhaus gehörten.

 

Mädchen aus der Stadt lernten dort sticken – Vögel, Schmetterlinge auf selbstgewebtem Grund – geleitet von Helena Börner, einer Handarbeitslehrerin. Ich lieh mir in den Sommerferien 1920 einen Hochwebstuhl und webte meinen ersten kleinen Gobelin. Ermutigt und unterstützt von den Mädchen der Frauenklasse, gingen wir im Herbst 1920 zu Gropius und baten ihn, daß er uns die Möglichkeit gäbe, auf diesen Webstühlen zu arbeiten. Gropius war einverstanden, und wir erreichten es, dort uns einzunisten, zunächst angewiesen auf die Gunst von Fräulein Börner und absolut abhängig von ihrem guten Willen (und unserer Diplomatie), uns dieses oder jenes Material für unsere Arbeiten zu verschaffen. Mit der Zeit wurden dann alle Webstühle, auch die großen Teppichstühle, die noch von Van de Veldes Zeit da waren, dem Bauhaus einverleibt. Auch die Börner mußte mit übernommen werden, obwohl sie sehr wenig Ahnung vom Handwerk des Webens hatte; sie war eben Handarbeitslehrerin.

 

Wir waren etwa fünf Mädchen, die diesen Anfang machten. Alles Technische, die Funktionen des Webstuhls, die Möglichkeiten der Fadenverkreuzung, die Art der Fadeneinzüge, konnten wir uns nur durch Ausprobieren aneignen; da war viel Rätselraten bei uns armen Autodidakten, und manche Träne floß.

 

Nun war da auch noch als Erbe von Van de Velde eine Färberei. Diese interessierte mich und Benita Otte ganz besonders, denn hier winkte die Möglichkeit, das Material selbst zu färben. Im Frühjahr 1921 erwirkten wir beide mit Hilfe von Gropius und Georg Muche, der als Formmeister seit 1921 die Weberei leitete, einen kurzen Lehrkurs an der Färbereifachschule Krefeld und ein Jahr später einen ebensolchen zweimonatigen Lehrkurs an der Textilfachschule Krefeld, denn inzwischen war Muche und uns klar geworden, wie mannigfaltig das Gebiet des Webens ist und daß man ohne Grundkenntnisse in Bindungslehre und Materialkunde nicht auskommt. Die Schüler kamen ja nun aus dem Vorkurs von Itten; eine gewisse Klärung, wohin die Begabung und Neigung des Einzelnen tendierte, hatte sich dort gezeigt. Ein Fluktuieren war aber immerhin möglich; es gab Schüler, die nur einige Monate sich versuchten, um dann auf ein anderes Gebiet hinüberzuwechseln.

 

Man konnte in der Weberei unter der Leitung von Georg Muche ganz frei experimentieren. Ob man sich an einen Teppich wagte oder an ein Kissen, das lag im Belieben des Lehrlings.

 

Den ersten Anlaß, bei der Gestaltung eines Möbels mitzuwirken, gab mir 1921 der «Negerstuhl» von Breuer. Ich spannte die Kettfäden aus grobem Garn direkt auf Stuhlsitz und Lehne durch feine Löcher und stopfte gobelinartig die Formen hinein; der nächste Schritt war dann, wiederum für einen Breuerstuhl, eine farbig gegliederte Gurtenbespannung. Einen weiteren Versuch machte ich 1922 mit einem großen handgeknüpften Bodenteppich in Smyrnatechnik. Diese Technik mußte ich mir erarbeiten, denn Anleitung gab es nicht. In der Folge sind dann verschiedene große Bodenteppiche entstanden, darunter einer für Gropius' Büro.

 

Als Itten im Frühjahr 1923 das Bauhaus verließ, übernahm Muche den Vorkurs und Klee für kurze Zeit als Formmeister die Weberei. 

 

Vertiefte, begrifflich durchgeklärte Probleme der Form, der Verhältnisse, der Farbwerte verdanke ich ihm. Seit 1922 konnten wir in unserer Färberei die Färbungen selbst entwickeln. Wir färbten sowohl mit Naturfarbstoffen wie Cate-chu, Cochenille, Waid, Indigo als auch mit Küpen-Farbstoffen und anderen. Die eigene Färberei war eine große Hilfe zu Experimenten mit der Farbe. Unsere ersten Webarbeiten waren «gemalte Stoffe», fein gegliedert, mit viel Schattierungen, einer üppigen Farbskala. Zeit spielte ja keine Rolle; der Versuch, das »Neue« zu leben und zu formen, war das einzig Dringliche. Bis 1923 hat die Weberei vorwiegend Einzelstücke hergestellt, Kompositionen am Flachwebstuhl mit eingelegten Formen, gewirkte Wandbehänge am Hochwebstuhl, verschiedene Doppelgewebe. Formal wie technisch wurde unentwegt »erfunden«.

 

Mit diesen Arbeiten wagten wir uns auf die Leipziger Messe. Der Erfolg war dort beträchtlich und führte uns in die Richtung des Gebrauchsstoffes, der Meterware (Vorhang- und Möbelstoff).

 

Zu Beginn des Jahres 1923 wurde in allen Werkstätten höchst intensiv für die »Bauhauswoche 1923«, unsere erste Ausstellung im Sommer jenes Jahres, gearbeitet. Das Arbeitsfieber war unglaublich, wurde dann aber reich belohnt durch die Festlichkeiten und den Erfolg dieser Tage; auch alle vorhergehenden Stürme und Kämpfe wurden im Rausch der Freude völlig vergessen.

 

Vom Januar bis Herbst 1924 hat mich Johannes Itten nach Herrliberg (Schweiz) gerufen, um dort eine kleine Weberei aufzubauen und zu leiten. Diese erste selbständige Aufgabe habe ich mit Begeisterung aufgenommen. Im Herbst 1924 begannen schon die großen Auseinandersetzungen mit der Regierung von Thüringen. Das Bauhaus wankte, das Stimmungsbarometer fiel und stieg. Welche Stadt wird uns aufnehmen? Als dann die Würfel gefallen waren, wurde noch intensiver diskutiert. Programme wurden aufgestellt und verworfen.

 

Ende 1924, nach aufregenden Wochen, war die Entscheidung gefallen: das Bauhaus kommt nach Dessau. Kaum einer kannte diese Stadt. Wer von den Meistern kommt mit? Wer von den Schülern, den Gesellen?

 

In den vorausgegangenen Wochen der völligen Ungewissheit hatten schon einige ältere Schüler und Gesellen Lehrstellen an Kunstgewerbeschulen angeboten bekommen. Die Töpferei blieb in Dornburg.Marcks wurde nach Halle berufen, und einige Schüler gingen mit ihm. Auch Benita Otte wurde nach einigen Monaten an die Kunstgewerbeschule Giebichenstein in Halle berufen zur Leitung der Weberei. Ich bekam einen Vertrag als »Lehrerin der Weberei« in Dessau. Muche blieb Formmeister bis zu seinem Ausscheiden Frühjahr 1927.

 

Von da an bis zu meinem Ausscheiden im Herbst 1931 hatte ich als »Jungmeister« die Leitung der Textilwerkstatt.

 

Ich hatte das Programm für den Lehrgang der Lehrlinge bis zur Gesellenprüfung auszuarbeiten, ich mußte das Programm für die ganzen neu zu beschaffenden Einrichtungen der Werkstatt aufstellen, die geeigneten Webstuhlsysteme bestellen, die Einrichtung für die Färberei – von Weimar konnten wir nur sehr wenig mit nach Dessau nehmen und einen Werkmeister suchen. Der Aufbau der Weberei in Dessau war Lehrwerkstatt und Produktionswerkstatt in einem großen Raum, Färberei im Untergeschoß. Die Webstuhlsysteme mußten möglichst vielseitig sein, für den Lernenden sowohl wie für die Produktion geeignet; denn das Ziel war jetzt, mittels größerer Aufträge auch das Experimentieren zu befruchten (auch materiell, wir waren immer noch ein armes Bauhaus). Bis zum Einzug in das neu erbaute Werkstattgebäude, November 1926, war die Werkstatt in einem Fabriksaal untergebracht. Im neuen, großen hellen Raum mit den verschiedensten Webstuhlsystemen hatte ich etwa zehn bis zwölf Schüler, einen Werkmeister und Angestellte.

 

Das Ineinandergreifen von Lehrwerkstatt und Produktionswerkstatt war ungemein fruchtbar. Der Anfänger bekommt den richtigen Einblick in alle Vorgänge, er wird in jeder Richtung angeregt.

 

Der Fortgeschrittene kommt zu selbständigem Entwurf und Ausführung und beteiligt sich an den Aufträgen – es wurde gruppenweise experimentiert –, die Ausführung konnte der Studierende übernehmen (gegen Entlöhnung), und größere Metragen wurden von den Angestellten ausgeführt.

Durch die Verbindung mit den anderen Werkstätten des Bauhauses konnten größere Aufträge gemeinsam bearbeitet werden. So bekam der Schüler den Blick für das Ganze und damit die richtige Einstellung zu seiner Aufgabe. 

 

Zu diesen – die handwerkliche Einzelherstellung rechtfertigenden Aufträgen kamen nun auch jene hinzu, welche uns die Industrie stellte. Das waren vor allem Vorhangstoffe, Möbelstoffe, Wandbespannungen.

 

Für die Mode haben wir wenig gearbeitet. Unser Hauptinteresse ging dahin, neue Typen für den Innenraum zu erproben. Mit neuen Materialien zu experimentieren, die Funktionen der Stoffe klar zu untersuchen, durchsichtige, dichte, weich oder steif fallende Stoffe, eine präzise Farbskala und ähnliches, das waren die Themen. Es ging uns um die Herausklärung des streng Materialgerechten. Die Komposition des Einzelstückes – sei es Wandteppich oder Bodenteppich - trat gegenüber Weimar zurück, obwohl auch jetzt noch einige Fabulierstücke entstanden - frei ausschwingend, nicht begrenzt durch Funktion und Technik. Die Färberei hat ihre bedeutsame Funktion behalten, denn gerade für die Versuchsarbeit mußte viel und in kleinen Dosen gefärbt werden. Jeder Schüler konnte, zunächst unter Anleitung, seine eigenen Farbversuche selbst ausführen. Mit meinen Schülern besuchte ich größere Textilunternehmungen; auch wurden den Lernenden in den Ferien Volontärstellen in mechanischen Webereien vermittelt.

 

Die Arbeitsdisziplin in Dessau war bedeutend straffer als in Weimar.

 

Dort konnte ein Studierender nur hereinspazieren in die Weberei, einen Bodenteppich oder einen Wandbehang weben und wieder verschwinden, und das waren dann manchmal die besten Stücke. So kamen Peiffer-Watenphul, Bittkow, Kerkovius, Frau Schreyer (und noch andere) zu uns. In Dessau aber galt der dreijährige Lehrvertrag mit der Gesellenprüfung als Abschluss; einige Zeit später konnte dann noch das Bauhausdiplom erworben werden.Ob, wie in Weimar, ein gemeinsames Leben und Trachten, noch ohne fertige Normen und Formen - ob straffer organisierte Schule wie in Dessau - ob Befruchtung künstlerischen Schaffens durch das Handwerk oder »Kunst und Technik eine neue Einheit.«

 

Die Bauhausidee verfiel keiner Erstarrung, immer verblieb sie im Werden. Sie hat den ihr Verpflichteten Sinn und Ziel eines befreiten Gestaltens gegeben, auf welchem besonderen Gebiet es auch war. 

GUNTA STADLER-STÖLZL

 

1897

geboren in München

 

1914

Aufnahme in die Kunstgewerbeschule München

 

1916-1918

Rotkreuzschwester im 1.Weltkrieg

 

1919

wieder an der Kunstgewerbeschule München. Dort durch Richard Riemerschmid Begegnung mit dem 1. Bauhaus-Manifest »Kathedrale des Sozialismus«. Im Sommer Reise nach Weimar zu Gropius. Im September Eintritt in das Bauhaus Weimar.

 

1922/23

Lehrling/Geselle der Bauhaus-Weberei; mitbeteiligt am Aufbau der Werkstatt

1924

von Johannes Itten nach Herrliberg berufen, dort Einrichtung und Leitung der Handweberei. Sie kehrt im Herbst wieder zurück an das Bauhaus.

 

1925 April

Übersiedlung mit dem Bauhaus nach Dessau, als Lehrerin für die Weberei. Neuaufbau der Werkstatt. Ausbildung der Studierenden bis zur Gesellenprüfung und zum Bauhaus-Diplom

 

1927-1931

Bauhausmeister(in)

 

1929

Heirat mit Architekt Arieh Sharon, Tel-Aviv, Geburt der Tochter Yael

 

1931

Übersiedlung nach Zürich als Textilentwerferin mit eigener Werkstatt, bis 1937 in Zusammenarbeit mit H.O. Hürlimann

 

1942

Heirat mit dem Schriftsteller Dr. Willy Stadler

 

1943

Geburt der zweiten Tochter Monika

 

1967

Nach der Schließung des Ateliers arbeitet sie als freie Textilkünstlerin

 

1983

stirbt sie in Männedorf, Schweiz